Der Junge Kammerchor Rhein-Neckar gestaltete am Karfreitag eindrucksvolle „Tenebrae" („Finstermette") in St. Juliana
Mosbach. Tenebrae – in deutscher Übersetzung Schatten oder Dunkelheit – so lautete der Titel eines ungewöhnlichen Chorkonzertes, das der Junge Kammerchor Rhein-Neckar am Karfreitag in der Kirche St. Juliana gab. Angelehnt an die klösterliche Tradition des Stundengebetes, hatte der ambitionierte Chorleiter Mathias Rickert für seinen jungen Chor ein Programm zusammengestellt, das die archaischen gregorianischen Gesänge mit wunderschönen und selten zu hörenden mehrstimmigen Motettenvertonungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert kombinierte.
Die mittelalterliche „Tenebrae", oder auch Finstermette, die sich jeweils über mehrere Stunden zog, wurde in den Nächten zu Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag gefeiert. Sie bestand aus je drei Nachtgebeten (Nokturnen), denen am Ende das Morgengebet (die Laudes) folgte. Jede Nokturn enthielt drei Psalmen und drei Lesungen mit ihren drei zughörigen Antwortgesängen (Responsorien). Im Programm des Jungen Kammerchors blieb die Abfolge der Texte aus der ursprünglichen Liturgie erhalten. Eine besondere Rolle spielten dabei die Klagelieder des Propheten Jeremias, die sowohl als gregorianischer Gesang (aus einer erst kürzlich im Kloster Lorsch entdeckten und restaurierten Handschrift aus dem 12. Jahrhundert) als auch in mehrstimmigen Vertonungen erklangen. Die traditionelle Beleuchtung durch den Tenebrae- Leuchter mit seinen 15 Kerzen, die während der einzelnen Abschnitte der Mette nach und nach gelöscht werden, unterstrich den sakralen Charakter dieses Konzertes.
Beim Jungen Kammerchor fällt auf, dass die Choristen nicht nach Stimmgruppen geordnet stehen. Das erfordert ein hohes Maß an Souveränität und eigenständiger Gestaltung aller Mitwirkenden, aber ein ebenso hohes Maß gemeinsamen Empfindens der Musik. Ein weiterer Vorteil der gemischten Aufstellung besteht darin, dass man einzelne Solisten oder Gruppen akustisch hervorheben konnte, zum Beispiel die ganz hervorragende Altgruppe, die bestens zur Entfaltung kam.
Der Gesamtklang des Chores ist weich und ausgewogen, viele der Sänger übernahmen auch solistische Aufgaben. In den gregorianischen Antiphonen und Hymnen wechselten Männerstimmen und Frauenstimmen einander ab, wobei auch hier bei der Aufstellung im Chorraum mit Bedacht und Disziplin variiert wurde, um die klösterlichen Traditionen darzustellen. In der fast völligen Dunkelheit der nur durch wenige Kerzen und die Pultlämpchen der Choristen beleuchteten St.-Juliana-Kirche entstand dadurch eine geheimnisvolle, intensive Atmosphäre.
Kernstücke des Programms waren die mehrstimmigen Vertonungen von Tomás Luis de Victoria (1548- 1611), Thomas Tallis (ca 1505- 1585) und Gregorio Allegri (1582-1652), in denen der Chor seine Qualität eindrucksvoll unter Beweis stellte. Die in den Klageliedern des Jeremias mehrfach wiederholte Anrufung „Jerusalem, Jerusalem, convertere ad dominum tuum" zog sich wie ein roter Faden, wie eine nachdrückliche Mahnung zur Umkehr durch das ganze Programm. Während „O vos omnes", „Tenebrae factae sunt", „Judas mercator pessimus" die düstere Stimmung der Karwoche betonen, nehmen der 51. Psalm und der „Lobgesang des Zacharias" bereits den Jubel und die Hoffnung der Osterzeit vorweg.
Beim „Miserere" von Gregorio Allegri teilte sich der Chor auf in einen Kapell- und einen vierköpfigen Solochor, der aus der hinteren Seitenkapelle sang. Hier zeigte der Junge Kammerchor seine ganze Qualität und bewies, warum dieses von Legenden umwobene Stück zu den interessantesten und schönsten Chorwerken überhaupt gehört. Die Sologruppe mit ihrem entfernten Klang und den aufregenden hohen Cs im Sopran kontrastierte wunderbar mit dem tief liegenden, warm klingenden Hauptchor. Chorleiter Mathias Rickert und der Junge Kammerchor Rhein-Neckar präsentierten hier ein Konzert von sehr hohem Niveau, eine ungewöhnliche Karmette, die in konzentrierter Stille zu Ende ging.
Foto: Pia Geimer