Der Junge Kammerchor Rhein-Neckar schwebte traumhaft sicher an der Grenze zwischen Tod, Schlaf, Traum, Erwachen
Mosbach. Außergewöhnliche Programme erfordern außergewöhnliche Vermittler. Der Junge Kammerchor Rhein-Neckar unter Mathias Rickert ist ein solcher Botenstoff. Er vermittelt zwischen den Synapsen Tod und Schlaf, zwischen Traum und Wachen mit einem Programm, wie es außergewöhnlicher nicht sein kann. Außergewöhnlich sind die Doppler zwischen Lyrik und Chorlied, sind die Kombinationen von Nicolaus Lenau (Dichter) und Jaako Mäntyjärvi, der dessen „Stimme des Kindes“ vertonte.
Noch außergewöhnlicher ist die Kopplung Mäntyjärvis zu Shakespeare, zu dessen Song „Come away, Death“ aus dem II. Akt von „Twelfth Night; or what you will“. In Schlegels Übersetzung mutiert das Lied zum Gedicht, um sich in Mäntyjärvis Fantasie wieder in Töne zu verwandeln. Dessen Musik orientiert sich an praktisch tonalen Klangebenen. Mathias Rickert übertreibt daher wohl, wenn er das Publikum vor Beginn vor Hörabenteuern warnt; es geradezu herausfordert. Mit Petr Ebens schockwellenartiger Orgeltragödie „Hiob“, mit Stockhausens „Der kleine Harlekin“ und vielen anderen Werken erhörte das Mosbacher Publikum modernere, subversivere Werke mit Toleranz und Aufmerksamkeit.
Arvo Pärts geniales Solfeggio wirft ein Röntgenauge auf eine vielfach verschachtelte und immer wieder neu aufgeschlossene C-Dur-Tonleiter; C-Dur im Legoland. Selbst die Uraufführung von Schützlers „Ghosts“ mit ihren engen Intervallführungen, die der Chor ohne größere Intonationsprobleme bewältigt, können da nicht schocken. Buchenbergs „Kein schöner Land“ ist ohnehin ein Klangidyll, das im Klangbild noch deutlich vor Brahms steht. „Lieben Sie Brahms?“ ist eine berühmte Frage. „Lieben Sie Chilcott?“ wäre eine ebenso spannende. Mehr noch als sein Anthem auf Martin Luther King „MLK“ zieht „The Runner“ Sänger und Publikum in seinen Bann. Vor allem die Männerstimmen haben Spaß an den rhythmischen Atemübungen eines näher kommenden und sich wieder entfernenden Läufers, an der präzisen akustischen Ausmessung der gedachten Distanz zu einem Zuschauer. Ein tolles Stück Musik.
Mathias Rickert fordert und führt dies mit Leidenschaft. Für einen Chordirigenten wirkt er mitunter befremdlich impulsiv. Seine kreisenden Armbewegungen, seine Körpersprache versteht vielleicht nur dieser, sein Chor ganz genau. Doch sein Klangbild stimmt. Er erzeugt wunderbar an der Grenzlinie zwischen Tod und Schlaf, Wachtraum und Wachsein fein reflektierende Töne. Es gibt dieses aufbrausende, sich an der gotisch dröhnenden Akustik des Rathaussaals sättigende Fortissimo.
Es gibt zarte, lyrische Gespinste; nachdenklich, reflexiv. Da ist ein klug erdachtes, aber nicht intellektuell überfrachtetes Programm, konstruiert um Distlers Mörike-Chorliederbuchmit seinem „Feuerreiter“ und einem „Stündlein wohl vor Tag“. Da ist ein kultivierter Klang, der alle Feinheiten modernen Chorgesanges abtastet und in den Chorklang integriert. In Mosbach vor einem gespannt, auch andächtig lauschenden Publikum. Das einen beneidenswert sicher singenden Chor mit Beifall überfrachtet. Nicht nur, weil Leute aus der Region mittun.