„Zwischen Wirklichkeit und Traum“ – Geheimnisvolle Chormusik moderner Komponisten mit dem Jungen Kammerchor Rhein-Neckar

Neckarbischofsheim. Der kühn gewählte Termin um 21 Uhr in der Schmitthenner-Gymnasiumsaula war rückblickend sogar fast zu früh für dieses gelinde gesagt außergewöhnliche Konzertwerk des Jungen Kammerchors Rhein-Neckar. „Zwischen Wirklichkeit und Traum“ hieß es und bot geheimnisvolle Chormusik moderner Komponisten.

Betonschwere Nüchternheit im Raum, zwei Lampen mit Kerzen, der Chor in Schwarz vor nachtblauem, deckenhohem Tuch, drei Scheinwerfer, Instrumentierung fehlt komplett. Eine minimalistische Szenerie in Düsternis. Schulhauskorridore wie Klangkörper, brillante Akkustik mit natürlichem Hall. Wo so etwas aufführen, wenn nicht hier? Derlei Gedanken hatte man. Es ist wohl eine Art Zeremonie, was der Chor unter der Leitung von Mathias Rickert da macht. Rickerts Elan, seine Lockerheit und sein dabei in jeder Handbewegung ungekünstelt zum Ausdruck kommendes Profitum stecken an. Kunst kommt von Können, diese Chorarbeit ist Kunst, Vollendetes, bis in die Finger und Zehenspitzen der 24 Sänger Ausgereiftes. So bewies der Chor erneut, zum Besten zu gehören, was Deutschland hier zu bieten hat.

Elf Lieder, denen Eigentümliches anhaftet. Klanglich, in ihrer Namensgebung oder anhand des Kontextes in dem sie stehen. Die nur einstündige Aufführung versetzt schlagartig in eine andere Welt, nicht zuletzt aufgrund eines fast rituellen Charakters. Eine andere Welt zwar und doch vertraut. Ähnliche Musik und ähnliche Gedanken haben schon manche Romantiker aufgegriffen. Alles war schon einmal da, wurde verändert, dem Erdreich entwurzelt und neu gepflanzt zur Blüte einer neuen Faszination, womöglich näher an der Altbekannten, als man glauben mag. Denn das Experiment, das dieser geheimnisvollen Chormusik innewohnt, es harmoniert und verliert sich nicht in experimentellem Selbstzweck.

Und so streut das Programm fetzenhaft die Romantik ein, wie in Nikolaus-Lenau-Textpassagen und korrespondierenden Musikadaptionen vom finnischen Zeitgenossen Jaako Mäntyjärvi oder Hugo Distlers Mörike-Vertonungen. „Come Away Death“ kam als von August Wilhelm von Schlegel übersetzter Shakespeare daher und als beeindruckendes Chorstück vom 1963 geborenen Mäntyjärvi. Einige der Zeitgenossen dürften in etwa das Alter der Ensemblemitglieder haben, wie Ole Schützler, Jahrgang 1976, dessen am 8. März uraufgeführtes „Ghosts“ das Zitat „Ich sah sie zwischen Schlaf und Erwachen“ überschreibt.

Bob Chillcots „The Runner“ malt das Klangbild eines nahenden und in der Ferne verschwindenden Läufers. Eine einfache C-Dur-Tonleiter wandert im „Solfeggio“ von Arvo Pärt durch alle Stimmen, jeder hinzutretende Ton verändert die Perspektive, die Stimmung des Stücks grundlegend. Heimatgewässer dann mit Wolfram Buchenbergs „Kein schöner Land“, das plötzlich surreale Züge bekommt – und gerade deswegen zum Leitmotiv des Abends passt.

Das Konzert endet mit Mörikes „Nächtliche Fahrt“ und dem „Sleep“ von Eric Withacre. Unvorhersehbar, unverwechselbar, unwiederholbar.