Tenebrae-Mette mit dem Jungen Kammerchor Rhein-Neckar in der Raphael-Kirche
Ein still einziehender Chor, der im Altarraum angekommen seine Blicke nicht zur voll besetzten Raphael-Kirche hinwendet, sondern das „Crux fidelis“ in geschlossener Reihe zum Kreuz trägt. So beginnt kein Konzert, so wird Gottesdienst gefeiert. Im Mittelpunkt der Tenebrae-Leuchter, dessen Kerzen sukzessive nach jedem Teil der Karmette gelöscht werden. Da vermittelte der Junge Kammerchor Rhein-Neckar tatsächlich das Gefühl, einer mittelalterlichen Finstermette beizuwohnen, zumal Text-Abfolge und Gesangsformen eng an deren Liturgie angelehnt sind. Neben Thomas Tallis und Tomás Luis de Victoria ist das 5. Klagelied Jeremias sogar eine eigene Ausgrabung aus dem Kloster Lorsch – seit 1000 Jahren nicht mehr zum Vortrag gebracht.
Einen sehr privaten Charakter hatte dieser erste Hymnus, abgeschirmt von der Außenwelt, mit einer von Zuversicht geprägten Unabhängigkeit im Gesang. Gänzlich unbemerkt gesellten sich in die Antiphon weitere Stimmen zur Vorsängerin, ein Spiel mit der Sangesstärke, das für kleinste Nuancierungen im Vokalbild sensibilisierte. Bei gleicher Stilistik waren es gerade solch minimale Übergänge, die enorme Entwicklungen in Gang setzten. Zwischen diesen gregorianischen Gesängen des Stundengebets ertönten die Klagelieder: bei wunderbarer Klangschönheit und wohliger Abrundung durch sanften Stimmgebrauch war hier hinter geheimnisvoller Fassade für kurze Momente bereits das Paradies zu erahnen. Eine saubere Vorarbeit durch Chorleiter Mathias Rickert garantierte den diesem Zweck entsprechenden Stimmgebrauch: konstanter Spannungserhalt, aber nie forcierend. Auch die Bässe hielten ihre Sonorität bewusst im Rahmen.
Wie aus dem Nichts schoss sich das erste Fortissimo auf den schändlichsten Krämer Judas ein, zielgerichtet und aggressiv mit einer Sangespracht, die in geballter Konzentration sämtliche Kraft auf das „Judas mercator pessimus“ bündelte. Später beeindruckte die harmonische Eintracht dieses Ensembles, als eine Melodie auch im Plenum den Eindruck erweckte, es wäre die Phrasierung eines einzelnen Sängers. Wie eine universale Stimme, der sich jeder unmerklich anschloss. In immer dunkleren Kirchengewölben hinterließ besonders das unberührte Leuchten der Frauenstimmen ein Gefühl von zerbrechlicher Zartheit. Ein entschlossenes Ausbrechen aus dieser Andacht signalisierte „Jerusalem, Jerusalem“ mit nicht nachgebender Massivität, bevor in „Miserere“ von weit hinten ein Sopran-Motiv in gar überirdische Höhen emporstieg. Wahrlich zu Tode erschreckte die Schlag-Rassel in abschließender Finsternis. Eindrücklicher kann ein Karfreitag nicht sein.