Das gemeinsame Abschlusskonzert wurde zum grandiosen Höhepunkt des Kammerchortages
Es muss ja nicht immer ein Wettkampf sein, prickelnde Spannung kann auch aufkommen, wenn wie am Samstagabend drei großartige junge Chöre ganz ohne Punktewertung aufeinander treffen. Bereits am Nachmittag hatten die drei Teilnehmerchöre in einem öffentlichen Workshop intensiv mit Frieder Bernius gearbeitet, dem Gründer und Leiter des weltweit renommierten Stuttgarter Kammerchores. Am Abend endete dieses Gipfeltreffen mit einem hochklassigen Konzert in der Stiftskirche.
Der Junge Kammerchor Rhein Neckar (Leitung Mathias Rickert) begann, mit ca. 30 Sängerinnen und Sängern die größte der drei Formationen. Dass sie Schütz unglaublich lebendig und filigran singen können, haben sie schon in früheren Konzerten bewiesen, mit der doppelchörigen Motette „An den Wassern zu Babel“ setzten sie hier erneut ein eindrucksvolles Statement für ihre Klasse. Von den drei Ensembles haben sie wohl die größten Überschneidungen in Klangideal und Aufführungspraxis mit Frieder Bernius’ eigenem Chor: unglaublich fein und differenziert, ganz im Sinne der musikalischen Rhetorik gestaltend, blitzsauber und gelegentlich prachtvoll und saftig aufblühend, wie in „Vineta“ von Johannes Brahms. Ein faszinierendes modernes Stück war die marianische Cantiga „Virgen de las Nieves“ von Michael Ostryzga (*1975), bei dem der Chor sich im Rund um die Zuhörer postierte und sie einhüllte in eine berückende dreidimensionale Klangwelt aus Flüstern, Summen, Pfeifen und Singen. Zu den wieder ausgegrabenen spätromantischen Chorliedschätzen gehörte das letzte Stück „Die Capelle am Strande“ von Wilhelm Berger (1861-1911), das im Workshop schon zu hören war – einfach wunderschön, sowohl der Satz wie auch die Gestaltung durch Mathias Rickert und seinen tollen Chor!
Das Ensemble Vocapella Limburg hatte ein Programm aus vorwiegend kürzeren Stücken mitgebracht. Eindrucksvoll starteten die 20 Männer vorne unter dem Lettner mit Vytautas Miškinis’ zeitgenössischem „And death shall have no dominion“. Chorleiter Tristan Meister lässt seine Jungs gerne auch mal ein bisschen was wagen, ermutigt mit seinem engagierten Dirigat eine weit ausgreifende Dynamik. Am Schönsten gelang ihnen das in Max Regers „Der Tod als Schnitter“, das kann man wohl kaum besser singen! Das Madrigal „Flora gave me fairest flowers“ von Wilbye aus dem 17. Jahrhundert klingt vielleicht in solistischer Besetzung filigraner als im Männerchor, aber natürlich können sie auch solche ältere Musik. Packend interpretierten sie Mörikes düstre Ballade „Der Feuerreiter“ in einer anspruchsvollen modernen Vertonung von Bernd Englbrecht (*1968) und ließen ihren Vortrag mit „The long day closes“ von Arthur Sullivan wunderschön sanft ausklingen.
Die jüngste Formation kam diesmal zum Schluss, der Neue Kammerchor Berlin hat sich erst vor eineinhalb Jahren formiert. Was diese 18 jungen Sänger zu bieten hatten, war an Präsenz und Ausdruck einzigartig: Ohne Noten, eng beieinander stehend singen sie, allerhöchste Konzentration auf den jungen Chorleiter Adrian Emans, der viel fordert, aber noch mehr gibt im Konzert. Der Klang ist jugendlich hell, leichter und vielleicht noch nicht ganz so kraftvoll wie bei den älteren Ensembles, dafür von einer wunderbaren Beweglichkeit und Zartheit, getragen von einem gemeinsamen musikalischen Willen. Perfekt ausgesucht war auch das Programm von Monteverdi bis zur Moderne, darunter Max Regers „Königskinder“, äußerst geschmackvoll dargeboten und das spektakuläre „I denna ljuva sommartid“ von Bengt Ollén (*1950), für das diese ätherischen Stimmen genau richtig wirkten. Auch sie hatten einen tollen unbekannten Spätromantiker im Gepäck, „Wenn sich zwei Herzen scheiden“ von Hans Koessler (1853-1926). Mit einer wilden Shakespeareschen Hexenszene vom Jaakko Mäntyjärvi und einem krachenden Stampfer beendete der Neue Kammerchor Berlin dieses großartige Konzert, bei dem allen echten Chorfans das Herz ganz weit aufgegangen sein dürfte.